“Wie nachhaltig ist denn die Aufbruchstimmung?”, war eine der Fragen, die uns die Zoom-Teilnehmer im Anschluss an die Präsentation der Ergebnisse unseres Studienprojektes stellten. Optimismus mag dieser Tage überraschend klingen – dennoch haben wir einiges davon mitgenommen aus den Interviews mit 30 Managern aus Unternehmen verschiedenster Branchen und Größen – von einer Brauerei über IT-Unternehmen und Industriekonzerne bis hin zu Banken und Versicherungen war die Wirtschaft bunt vertreten. Worum es geht? Gemeinsam mit 23 Studierenden des Bachelor-Studiengangs Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) haben wir ein Action-Research-Projekt zum Sensemaking von Managern während des Lockdowns (April bis Juli 2020) durchgeführt – auf Basis qualitativer Interviews, ausgewertet in einer kritischen Diskursanalyse, gespiegelt mit den Integral- und Entwicklungsmodellen von Ken Wilber und Frederic Laloux sowie eingeordnet in das Konzept der Future Rooms des Zukunftsinstituts.
Link zur Aufzeichnung des Webinars in Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=gRKKD92XVFs&feature=youtu.be
Aufbruch zur neuen Normalität?
Die Atmosphäre in den Gesprächen und Interviews war, dass sich die negative Zuspitzung der Krise, wie oft in den Medien dargestellt, in der Sinnfindung bei Führungskräften eher im Ausnahmefall widerspiegelt. Auf den ersten Blick überwiegt das Bild, dass sich in den Unternehmen schnell eine neue Normalität einstellt – schwerpunktmäßig im Home Office, gut ausgestattet und unterstützt durch IT- und Konferenztools, gut strukturiert und organisiert in virtuellen Meetings. Diese scheinen sogar noch effektiver abzulaufen als persönliche Meetings vor Ort. Ist somit schon alles klar in der neuen Arbeitswelt?
Die Sinnfrage stellt sich neu
Mitnichten, wie ein zweiter Blick auf das Datenmaterial gezeigt hat. Denn bei vielen Führungskräften findet während der Krise ein Umdenken statt. Plötzlich “out of office” zu sein, schafft eine neue Welt jenseits des hektischen Alltags und der Machtgefüge im Unternehmen. Die Tunnelfahrt (immer weiter, schneller, größer, erfolgreicher – und das alles in halbwegs eingespielten Strukturen) hat ein Ende – und zu Hause, zwischen Familie und virtuellen Kollegen, zwischen Küche, Balkon und Schreibtisch angekommen, stellen sich einige bereits beantwortet gedachte Fragen neu: Was bedeutet es einen erfüllten Arbeitstag zu haben? Was sind geeignete Messgrößen für Erfolg? Und wie gehe ich mit dem Kontrollverlust um, den die Krise mit sich bringt?
Mehr Menschlichkeit zulassen
Das Erfrischende an den Antworten: “Out of office” zu sein, macht es möglich jenseits der rationalen, in Zahlen und Prozessen dargestellten Geschäftswelt, die man aus den Büros kennt, wieder mehr Menschlichkeit zuzulassen:
- Ausserhalb des Tunnels bekommt die Wirtschaft ein emotionaleres Gesicht. Nicht nur, dass Gefühle wieder zugelassen und völlig normal sind, sondern die subjektive Seite einer für rational gehaltenen Welt rückt überhaupt wieder ins Bewusstsein. Der Glaube an die Kraft des eigenen Willens steigt. Man spürt den kulturellen Wert zwischenmenschlicher Begegnungen, die im Flur und in der Kaffeeküche stattgefunden haben. Einige stellen sich die Frage, wofür sie arbeiten, neu.
- Gleichzeitig empfinden viele Kommunikation als wichtiger denn je. Im ständigen Austausch zu sein, ist nicht mehr selbstverständlich und passiert nicht mehr automatisch auf Zuruf. Man bedient sich neuer Plattformen für virtuellen Austausch und ist in sozialen Medien unterwegs. Dadurch wird die Kommunikation persönlicher, meistens 1:1. Vielen wird bewusst, wie klein der Ausschnitt der Welt war, die zuvor das Marketing und die Unternehmenskommunikation geschaffen haben – sie informieren sich breiter und gleichzeitig geplanter.
- Vor Meetings macht man sich neue Gedanken, wer dabei sein soll. Diejenigen, die Beiträge leisten, sind oft andere als zuvor. Messen und Konferenzen finden online statt – was recht gut funktioniert. Stakeholder wie Mitarbeiter und Kunden kommen klarer zu Wort, da sie häufiger gefragt werden. Es entstehen neue Kommunikationsräume, die als sehr wirksam und hilfreich empfunden werden – diese zu hosten, ist eine Rolle, die einige Manager gerade neu für sich entdecken.
- In Summe führt dies dazu, dass sich auch die Machtverhältnisse in Unternehmen verschieben. Einerseits geht es darum schnell zu sein und sichtbar zu bleiben. Andererseits haben sich dadurch, dass sich Vorbehalte gegenüber agilen Arbeitsweisen durch den Schritt ins Home Office in Luft aufgelöst haben, neue Routinen für Abstimmungen und Entscheidungen etabliert – auch in Bereichen und Abteilungen, in denen selbstbestimmtes Arbeiten vor der Krise nicht üblich waren. Autonomie schafft Resilienz – und Beispiele wie der chinesische Automobilzulieferer Haier zeigen, dass selbstorganisierte Modelle auch im großen Stil skaliert werden können und gerade in Krisensituationen aufblühen.
Schnell zum “New Normal” übergehen
Viele Manager haben uns gesagt, dass das Lernen aus der Krise ganz oben bei ihnen auf der Agenda steht. Viele gehen allerdings gleichzeitig davon aus, dass das “New Normal” nach Corona eher einem noch schnelleren “Old Normal” ähneln und sich weniger nach einem Paradigmenwechsel anfühlen wird. Sie versuchen sich möglichst schnell und effizient darauf einzustellen. Die Gefahr liegt darin, dass es bei einem oberflächlichen Lernen anhand der betriebswirtschaftlichen Normen aus der Zeit vor der Pandemie bleibt und der Raum etwas Neues entstehen zu lassen nicht genutzt wird. Typische Fragen, die in den Interviews aufgetaucht sind:
- Wie können wir die Krise noch besser als Beschleuniger für die Digitalisierung nutzen?
- Wie können wir schnell wieder einen Zustand von profitablem Wachstum erreichen?
- Wann geht es zurück ins Büro – oder wie viele Tage Home Office werden künftig erlaubt sein?
Fragen dieser Art führen zu schnellen Antworten, verhindern jedoch die Chance zur Ursachenforschung und der Komplexität der aktuellen Krise auf den Grund zu gehen und auch die unsichtbaren Entwicklungen sichtbar zu machen.
Wann, wenn nicht jetzt zum neuen Wirtschaften der Zukunft aufbrechen?
Wohin die Reise in der Wirtschaft letztlich geht, scheint daher offen. Wir sind uns auf Basis der Interviews jedoch sicher, dass es in naher Zukunft noch stärker auf jeden einzelnen Manager ankommt, das Heft in die Hand zu nehmen und einen eigenen Weg zu finden. Die Chance heute wirksame Modelle für ein nachhaltiges und resilientes Wirtschaften zu schaffen ist somit größer denn je. Diese Ansicht teilt Frederik G. Pferdt, Chief Innovation Evangelist bei Google, der sagt, dass es in der Wirtschaft nicht an Kreativität mangelt, sondern an dem Selbstvertrauen diese auch umzusetzen. Dazu gehören:
- Der Mut die Probleme zu erkennen und Fragen zu stellen,
- Prototypen zu bauen und schnell dazuzulernen,
- über den Tellerrand hinaus zu schauen und radikal neu zu denken
- und Empathie sich in anderen Menschen hinein zu versetzen.
Jetzt sind unternehmerisch denkende Manager gefragt, die mit Mut und Inspiration nach vorn schauen und mit ihren Teams das Wirtschaften der Zukunft einfach umsetzen!