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Transalp meets Leadership

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Transalp – kennen das alle? Richtig: Alpenquerung. Per pedes, per bike, per Gleitschirm. Gehen ist mir zu fad, Gleitschirmfliegen kann ich nicht, also wähle ich mein rotes Racebike als Fortbewegungsmittel, ein Mountainbike, das als Begleiter auffällt. Mir zumindest. Dazu sein Name: Razorblade. Hmmm, gutes Wording. Denn hier ist der Name Programm: wenige bis keine Kompromisse.

Mit gebührlichem Abstand haben sich heute meine Impressionen vom Abenteuer verfestigt. Hat sich gezeigt, wie Leadership – unbewusst und von selbst – funktionieren kann. Welche Learnings ich auch in vielen anderen Bereichen für meinen Job mitnehme. Gespannt?

Die Vorbereitung

Weg vom üblichen Urlaub in der Komfortzone am Meer mit Gepäck aller Art war der Ausgangspunkt meiner Idee. Abenteuer, etwas Neues erleben, neue Wege beschreiten. Aber wie gehe ich das an? Eine Transalp muss her. Der Wunsch ist schnell ausgesprochen, die Umsetzung ist eine andere Geschichte.

Denn: Was eine echte Transalp sein will, braucht eine ordentliche Vorbereitung. Wann fahren, Route planen, wo übernachten – alles Fragen, die plötzlich auftauchen. Wie aus dem Nichts. Dann: Wie heimkommen? Alles mit dem Bike retour? Sicher nicht. Irgendwann ist es dann auch gut. Naja, und so können dann gut und gerne zwei Monate ins Land gehen. Man hat schließlich auch noch anderes zu tun.

Aber was soll’s. Irgendwie findet sich für alles eine Lösung. Planung ist das halbe Leadership. Oder so ähnlich.

An dieser Stelle darf ich kurz „exkursieren“: Leadership ist ein Thema, das so viele Erklärungen erfahren hat, dass ich mich kurz halten möchte. Boris Grundl hat mit „Leading simple“ eine Grundlage geschaffen, der ich mich gerne anschließe. Er spricht dabei von fünf Prinzipien des Leadership:

  1. Lust auf Verantwortung
  2. Ergebnisorientierung
  3. Veränderungskompetenz
  4. Sinnorientierung
  5. kluges Vertrauen

Und damit ist an dieser Stelle auch schon alles gesagt.

 

Veränderung ist das halbe Leben

Unvermeidlich rückt der Tag näher, bis …. Ja, bis er da ist. Jetzt heißt es Farbe bekennen. Auf dem Plan sieht alles einfach aus. Die Nacht vor der Wahrheit ist irgendwie aber durchwachsen. Soll heißen, Schlaf kommt zu kurz. Der Startsonntag hat es dann in sich: Er empfängt mich mit knackig blauem Himmel, kein Wölkchen weit und breit und saftigen Temperaturen. Besser so als anders.

Den Rucksack umgeschnallt – er sollte mein treuer Begleiter für die nächsten sieben Tage sein – hinauf aufs Mountainbike und los geht‘s. Übrigens: heißer Tipp: Schau auf dein Rad, es ist auf der Tour dein bester Mitarbeiter. Hegen und Pflegen heißt das Motto. Dann bringt er auch Leistung. Denn kluges Vertrauen ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Veränderung (Prinzip 3 und 5).

 

Tag 1: Planumsetzung: Bregenz – Thusis

Der Start ist – sagen wir es einmal diplomatisch – nicht so prickelnd. Dank suboptimaler Verbindung durch die Öffis in knapp zwei Stunden ab Bregenz in Sargans gelandet, wo das Abenteuer dann beginnt. Endlich.

Raus aus dem Zug, die erste Ohrfeige empfängt mich am Bahnhof. Wie sonst ist der Ausstieg aus einem klimatisierten Zug in die gefühlt 40 Grad heiße Luft am Bahnhof zu beschreiben? Nicht jammern, rauf aufs Bike und ab in die Berge. Erstes Etappenziel: Thusis, wo die Welt der wilden Via Mala beginnt. Abends noch ein feines Dinner, dann ab ins Bett und den Schlaf genießen. So er sich einstellt. War so weit ok, darf ich behaupten.

 

Tag 2: Gib deinem Tun einen Sinn! Thusis – Splügen

Tagwache um acht Uhr, kleines Frühstück und dann geht’s weiter: Etappenziel: Splügen bei strahlendem Wetter und angenehmen Temperaturen. Ich schlängle mich durch die imposante Via Mala-Schlucht, umgeben von steil aufragenden Felswänden, die einen schmalen Durchlass freigeben. Unten tost der Rhein in einem Farbenspiel von grünem und blauem Nass. Exponiert erheben sich auf den Felsvorsprüngen die Wächter der Schlucht, Tannen und Fichten ragen majestätisch gen Himmel.

Job, Mühe, Anstrengung? Was ist das? Vergessen sind die Alltagsthemen. Just in diesem Augenblick wird mir die Tiefe dieses Bonmots klar. Mein Learning für Beruf und Leadership: Gib deinen Nächsten die Möglichkeit, diese Liebe zu verinnerlichen. Und du wirst es nicht bereuen. Prinzip drei und vier, sei hier angemerkt.

Und dann weitet sich die Landschaft. Aus Schlucht und Tal öffnet sich ein Plateau, das gesäumt ist vom Splügensee, an dessen Ufer ein malerischer Biketrail zum gleichnamigen Ort führt. Splügen – kennen wir, wenn wir auf dem Weg nach Italien cruisen. Sieht nicht besonders einladend aus. Auf den ersten Blick. Aber: Hinter den Fassaden der an die Straße angrenzenden Häuser erheben sich wunderschöne Gemäuer, deren alte Schieferdächer bestens in Schuss sind. Swissness eben. Die Menschen freundlich, das Ambiente tiefenentspannt. Zu sich kommen, die innere Mitte finden, das ist das Gefühl, das mich überkommt, wenn ich durch die Gassen des Ortes spaziere. In diesem Mood lässt es sich leben. Mein Wunsch: Mitnahme desselben ins Berufsleben. Authentisch, entspannt, bewusst sein. Eigenschaften, die Leadership aber sowas von erleichtern. Gib den Leuten ein gutes Gefühl. Sie werden es dir danken. Denn Prinzip vier ist wohl eine Triebfeder für Gutes.

Und was soll ich sagen? Der Schlaf im schiefergedeckten Haus mit rotkarierter Bettwäsche war phänomenal. So phänomenal, dass ich den kurzen Regenschauer nachts trotz offenem Fenster nicht einmal ansatzweise wahrgenommen habe.

Tag 3: Freudvolle Verantwortung, gelungene Organisation: Splügen – Soazza

Etappe drei beginnt wie jeder andere Tourtag: mit einem kleinen Frühstück unter blauem Himmel. Heute steht der Bernhardpass auf dem Programm. Anfahrt nach Hinterrhein, Auffahrt durch eine wunderschöne, wilde Steinlandschaft hinauf auf das Dach der Tour: den San Bernardino auf 2066 Meter. Die Sonne hat heute mehr Erbarmen als gestern. Ist’s, weil ich höher bin, ist’s, weil es einfach kühler ist. Einerlei. Der Aufstieg ist dermaßen kurzweilig und schön, dass ich gar nicht merke, wie die Zeit verfliegt. Muss ich mir merken: Fülle deine Zeit mit Schönem. Muss ja nicht unbedingt Biken sein. Ein guter Job ist auch was wert. Sinnstiftend, Expertise fordernd, Entscheidungsmöglichkeiten beinhaltend. Gib deinem Team Raum, sie werden ihn nutzen. Entspricht also wieder Grundls Thesen drei und vier.

Das Tourdach belohnt mich mit einem Blick, den ich in dieser Höhe nicht für möglich gehalten hätte: pittoreske, rot gestrichene Aussichtsbänke am Ufer des kleinen Bergsees nebst Blechkahn, in den zu setzen ich mich nicht verweigern kann. Noch nie waren Wasser, Brot und Landjäger so gschmackig wie hier oben. Weiteres Learning: Zu Zufriedenheit braucht es nicht viel. Gepäck im Rucksack für eine Woche, ein Weg, ein Ziel, Freude. Wenn’s nur im Job auch immer so klappen würde. Merke: Razorblade und These zwei: Ergebnisorientierung dank Ballastverlust.

 

Die Abfahrt? Ist ein wahres Vergnügen. Mich erwartet ein Steinmeer, durchsetzt mit Wiesenanteil, ein Gefälle, das feines Cruisen zulässt, und ein Blick ins Tal, der mir schier den Atem raubt. Jetzt nur nicht übermütig werden. Auch einmal innehalten. Genießen, was ich geschafft habe. Zurückblicken, wo ich herkomme. Nach vorne blicken, wo ich hinwill. Orientieren, wo ich bin. Ein kleine Analogie zu Leadership, denke ich mir: nicht nur lospreschen ohne Überblick, sich Orientierung verschaffen. Ein Gebot nicht nur dieser Stunde.

Und irgendwann gibt der Berg einen weiteren imposanten Blick frei: hinunter nach Graubünden hinein ins Tessin. Jetzt wird’s haarig: Beinahe im freien Fall geht es hinunter auf dem Biketrail, steil, mitunter gefährlich, leitplanken- und absturzsicherungsbefreit. Mein treuer Begleiter, mein Mountainbike, gibt mir die Sicherheit und das Backup, dass mir – zumindest technisch gesehen – nichts passieren kann. Jetzt kommt es nur mehr auf mein Geschick, meine Konzentration und meine Verantwortung an. Und die ist hoch, das darf ich euch versichern. Denkt an Grundls erstes Prinzip der Verantwortung.

Nach einer rasanten Abfahrt mit zahlreichen Stopps, um Selfies und Co Genüge zu tun – „Expose yourself“ darf auch hier nicht zu kurz kommen –, lande ich im malerischen Ort Soazza, wo ich im knuddeligen Hotel eine Suite beziehe, die den halben ersten Stock einnimmt. Wow, denke ich mir, gut gewählt. Organisation, die sich jetzt bezahlt macht. Auch im Leadership ein wichtiger Faktor.

Was ich nicht bedacht habe: traumhaft schönes, aber leider auch sehr ruhiges Dorf. Keine Bar, keine geöffnete Gastronomie in Reichweite. Der Herbergsmutter mein Leid geklagt. Ohne viel Federlesens packt sie mich um 19.00 Uhr in ihren Elektroflitzer und verfrachtet mich zur „Cascada“, einem romantisch schönen Restaurant unterm Wasserfall.

Wir „unterhalten“ uns angeregt im Auto. Also genauer gesagt, redet sie und erklärt mir sicher ganz wunderbare Dinge über die Gegend – oder so … Ich nicke und lächle einfach nur dankbar, denn leider ist mein Italienisch sehr bescheiden.

Sie holt mich nach zwei Stunden auch noch ab und will kein Geld. Nur ein Foto für Social Media und eine gute Rezension. Wie herzallerliebst ist das denn. Foto ist Ehrensache, gute Rezension und schönes Trinkgeld sowieso. Hat zwar jetzt nicht unmittelbar mit Leadership zu tun, aber viel mit Kundenbindung. Aber das nur am Rande.

 

Tag 4: Soazza – Gamborogno

Nach einer etwas durchwachsenen Nacht – Schmerz lass nach und komm nie wieder – steht mit etwas lädierten Gliedern die vierte Etappe Etappe mit Zwischenstopp Bellinzona zum Lago Maggiore nach Gamborogno auf dem Plan. Der nächtliche Regen hat Teile des Biketrails etwas aufgeweicht, sodass die Ausrüstung leidet. Zumindest, was den Schmutz betrifft. Mein schönes Bike steht vor Schlamm und Dreck. „Du bekommst bei nächster Gelegenheit eine Sonderbehandlung“, gelobe ich.

Diese Etappe geht unspektakulär zu Ende, spannend ist die Ankunft am See. So fühlt es sich an, wenn der Lago erreicht ist. Guuuuuut. Aber halt, da fehlt ja noch was. Die nächste Etappe, die mich wieder weg vom See hinauf auf die Alpe Neggia führt. Einfach kann jeder, denke ich mir. Oder ist es der Sicherheitsgedanke? Lieber 40 Kilometer in den Bergen ohne Verkehr als zehn Kilometer auf der Küstenstraße bei italienischem Kamikaze-Stil. Ihr wisst, wovon ich rede.

 

Tag 5: Kluge Verantwortung gibt Sicherheit: Gamborogno – Cannero Riviera

Beseelt schlafe ich ein, wieder erwache ich bei strahlendem Sonnenschein. Frühstück in einem kleinen Café an der Strecke und dann die große Prüfung. War der Bernhardpass das Dach der Tour, so ist die heutige Etappe der Prüfstein selbiger: 1200 Höhenmeter bei ständiger Steigung ohne Verschnaufpause. Musik aus den Airpods, mediatives, gleichmäßiges Treten, den Blick auf die Straße geheftet schraube ich mich Meter um Meter in die Höhe. Nach der Hälfte – gut bewältigt – der erste Halt. Trinkpause. Ein Kätzchen gesellt sich zu mir. Schmeichelt mir. Das tut mir gut. Lob für den bisherigen Weg. Ansporn für die zweite Hälfte.

Fühlt sich gut an. Muss ich mir merken und verstärkt in mein Leadership einbauen.

Der zweite Teil hat es dann in sich. Serpentine reiht sich an Serpentine, die Straße will und will kein Ende nehmen. Aber ich muss. Koste es, was es wolle. Die eine oder andere Verwünschung verlässt laut meine Lippen, aber irgendwo muss ich es loswerden. Doch Beharrlichkeit führt zum Ziel. Nach drei Stunden ist die Alpe erreicht. Same procedure as two days before: Das Wasser aus dem Brunnen schmeckt besser als jeder Champagner. Ein Lob der Einfachheit.

Glücklich und stolz schieße ich die obligatorischen Selfies und Bilder, um auch aller Welt zu beweisen, was da gerade passiert ist. Dann begebe ich mich auf die Abfahrt. 30 Kilometer Genuss durch das Val Veddasca, ein Tal mit ursprünglichen Dörfern und bergbäuerlichem Charakter, das leider mehr und mehr verlassen scheint.

 

Nach einer weiteren Stunde lande ich in Maccagno, wo ich mich mit einem Toast und einem Campari Spritz selbst belohne, weiter geht’s auf den letzten fünf Kilometern nach Luino, von wo ich mit dem Schiff über den Lago Maggiore nach Cannero Riviera übersetze.

Dieser Tag war wohl der eindrücklichste, anstrengendste und schönste der ganzen Tour: die Grenzen kennenzulernen, sie teilweise zu überschreiten und ein Ziel zu erreichen, das mich stolz macht. Ein Wechselbad der Gefühle, in dem ich mich mitunter befunden habe. Unendlich befriedigend, es geschafft zu haben.

Merke: Der Weg ist das Ziel. Mag sein. Aber ein Ziel zu haben und zu erreichen mit selbstbestimmtem Weg, ist eine andere Geschichte: Prinzipien drei und fünf mit Sinn- und Ergebnisorientierung.

Tag 6: Intra: Das Ziel ist erreicht.

Die letzte Etappe nach einer herrlichen Nacht in einem sensationellen Hotel direkt am See rolle ich die letzten Kilometer auf dem Höhenweg – italienische Fahrkünste, eh schon wissen – nach Intra/Verbania zum Ziel der Tour. Wo eine liebe Freundin, die ihren Geburtstag in Italien feiert, mich erwartet. Das Fest – was soll ich sagen – zwei Tage liebe Leute, zwei Tage Entspannung, zwei Tage Heldin – natürlich neben der Jubilarin. Alle wollen von den Höhen und Tiefen meines Tripps erfahren. So bringen Geschichte Menschen schneller zusammen. By the way: Storytelling at it’s best.

 

 

Einzelheiten der weiteren Tage erspare ich euch. Eines sei an dieser Stelle aber noch einmal hervorgehoben. Die Reise hat mich vieles gelehrt, was ich ins Berufsleben mitnehmen werde:

  • Überlege dir gut, was du tun willst. Wie du es tun willst. Wohin du kommen willst. Entwickle Visionen. Der Weg ist steil genug, um sich ständig über Grundsätzliches Gedanken zu machen.
  • Fokussiere dich auf das, was du willst. Überlege dir deinen Weg dahin. Es kommt mitunter ohnehin anders, als du denkst. Anyway: Dann improvisiere.
  • Nimm deine Begleiter auf deinem Weg mit. Lass sie teilhaben. Gib ihnen Entscheidungsfreiheit. Motiviere sie. Sie werden dich überraschen.
  • Befreie dich von unnötigem Ballast, du brauchst weniger, als du denkst.

Conclusio

Was hat mich veranlasst, euch an diesem meinem Weg teilhaben zu lassen? Mein Verständnis von Leadership zu teilen? Analogien zu schaffen, die in mein Privatleben reichen?

Meine Wahrnehmung der letzten Jahre: Empathie, Gemeinsames, Uneigennützigkeit sind Dinge, die mehr und mehr in den Hintergrund treten. Eitelkeiten, besser sein zu wollen, aber bitte keine Verantwortung zu übernehmen, ist eine eigene Disziplin geworden. Lieber in zeitraubende Meetings investieren und möglichst viel Last verteilen. Aber nur, wenn es nicht klappt. Denn: Ich mach mir die Finger nicht schmutzig. Und wenn´s mal länger gehen sollte oder schwierig wird, dann gibt´s eben jemanden neben oder über mir, der das lösen soll.

Überspitzt, ich weiß. Aber ist das alleine ein Problem in der Privatwirtschaft? Mitnichten, wie ich glaube. An diese Stelle möchte ich ein Statement, das ich während der Fußball-WM der Frauen gehört habe, stellen:

„Verzogen seien die jungen Sportlerinnen, hochgezüchtet, durchgeschult und analysiert. Nichts müsse mehr allein entschieden werden, es gebe keine Individualität mehr, keine Widerstandskraft. Die Lösung nach Lehmann-Art, so alt wie ein Vitamalz-Werbespot mit Franz Beckenbauer: „Geht auf die Straße und kickt!“. Und wie wird es nun weitergehen im deutschen Frauen-Frauenfußball? Schau’n mer mal.“

 

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